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Wilhelm Schifferdecker

Wilhelm Schifferdecker (jun.)

Der Feinmechaniker und Uhrmacher wurde am 30.01.1881 in Schwenningen geboren.
Er betätigte sich schon früh politisch aktiv und war von November 1918 bis Mai 1919 Mitglied des Stuttgarter Landtages und danach bis 1933 hauptamtlicher Gewerkschaftssekretär für Südbaden. Als die Nazis an die Macht kamen war der damals 53jährige als Leiter des Bezrks Villingen des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes (DMV) einer der ersten demokratischen Entscheidungsträger, der von den Nazis aus dem Amt gedrängt, mißhandelt und eingesperrt wurde.

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rechts: Haftbefehl für Wilhelm Schifferdecker
vom 11. März 1933, NSDAP Gauleitung Baden
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links: Ausschnitt einer Tageszeitung 1933
Quelle: unbekannt

Tageszeitung 1933

In einer Tageszeitung (Quelle wird nachgereicht) schrieb der Redakteur Franz Dannecker über Wilhelm Schifferdecker unter dem Titel:

Das Schicksal eines Nazi-Gegners in Villingen: Wilhelm Schifferdecker
"Köpfe werden rollen für den Sieg"

"Als vor 50 Jahren die Nationalsozialisten an die Macht kamen ... war der Gewerkschaftssekretär Wilhelm Schifferdecker einer der ersten, der in der Zähringerstadt unter dem braunen Terror zu leiden hatte...
1907 verlor der bei Kienzle-Uhren in Schwenningen beschäftigte Schifferdecker Arbeit und Brot, weil er sich an dem Streik der Uhrenarbeiter beteiligt hatte. Eine unter Arbeitgebern kursierende schwarze Liste verhinderte, daß er neue Arbeit fand. Erst 1909 konnten ihm die Metaller eine Arbeit in Stuttgart vermitteln, wo er wieder für die Gewerkschaft und die SPD aktiv wurde. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Schifferdecker Mitglied des württembergischen Landtages, verzichtete aber nach kurzer Zeit auf das Mandat, um die Bezirksleitung des Metallarbeiter-Verbandes in Villingen zu übernehmen.

Zeitungsartikel Als sich die Weimarer Republik auf ihr Ende zubewegte und die Nazis immer dreister auftraten, als er und seine Tochter, die als Büroangestellte der Gewerkschaft ständig mit ihm zusammenarbeitete, bei Versammlungen beschimpft wurden, auch als er eines Morgens am Gartentor seines Hauses am Germanswald einen Totenkopf hängen sehen mußte mit der Aufschrift "Köpfe werden rollen für den Sieg", glaubte Schifferdecker immer noch an die rechtsstaatliche Ordnung. Rechtsstaatlichkeit galt jedoch nach der Machtübernahme der Nazis nichts mehr, auch nicht in Villingen. Wilhelm Schifferdecker bekam dies auf drastische Weise am eigenen Leibe zu spüren.

Er wurde gewarnt. Im März 1933, erinnert sich Ida Schifferdecker, kam mehrere Male ein wohlmeinender Kriminalbeamter heimlich in den "Löwen" in der Oberen Straße, das damalige Gewerkschaftshaus, um ihren Vater auf die bevorstehende Gefahr aufmerksam zu machen ... Doch der Gewerkschaftssekretär blieb in dem für die damalige Zeit naiven Glauben, ihm könne nichts passieren, da er nichts Unrechtes getan habe.

Am Abend des 17. März schlug die Villinger SS dann zu. ... Wilhelm Schifferdecker und seine Tochter ... wurden auf dem Heimweg gegen elf Uhr ... kurz vor Erreichen ihres Hauses am Germanswald von einer Gruppe von etwa 30 SS-Leuten in Empfang genommen. ... Der Gewerkschaftssekretär wurde ins Gesicht geschlagen, man durchsuchte die Taschen von Vater und Tochter, beschimpfte und bedrohte sie. Ida Schifferdecker mußte dann miterleben, wie ihr Vater für verhaftet erklärt, weggezerrt und mit brutaler Gewalt auf die Pritsche eines bereitstehenden Lastwagens geworfen wurde.
Beim Schließen der Ladeklappe verklemmte sich Wilhelm Schifferdecker eine Hand. Seine Tochter hört heute noch, wie er vor Schmerzen schrie. Doch keiner der Schwarzuniformierten befreite ihn aus seiner Lage.

Tageszeitung Das SS-Kommando brachte seinen Gefangenen in das Nazi-Hauptquartier, den "Stiftskeller" in der Gerberstraße, wo sie "Femegericht" zu halten pflegten. Dort erging es Schifferdecker noch schlimmer als auf dem Transport. Er wurde getreten und mit Stahlruten, Totschlägern, Gummiknüppeln brutal zusammengeschlagen ...

Der Gauleiter Wagner verhinderte die sofortige Erschießung und ordnete an, dass Schifferdecker ins Gefängnis einzuliefern sei. ... Wegen der schweren Mißhandlungen mußte er ins Krankenhaus gebracht werden....

Wilhelm Schifferdecker kam mit dem Leben davon - aber als gebrochener Mann. Krank, seiner Wirkungsmöglichkeiten beraubt, geächtet. Schifferdecker war eines der Opfer von Nazis in Villingen, wie später der Gewerkschafter Fritz Restle, wie der Regierungsrat Uebler vom Arbeitsamt und wie der sozialdemokratische Landtagsabgeordnete Heid, der 1944 erneut verhaftet worden war und im KZ Dachau umkam.

Wilhelm Schifferdecker konnte damals die im von der SS zugefügten Verletzungen nicht auskurieren. Nach einigen Tagen wurde er von den Nazis aus dem Krankenhaus geholt und erneut ins Gefängnis geworfen. Er kam erst frei, als seine Tochter einen Bittgang zum NSDAP-Kreisleiter Jäckle nach St. Georgen tat ... Der Kreisleiter holte den Gewerkschafter aus dem Gefängnis und sorgte dafür, daß ... eine ordnungsgemäße Überprüfung der Gerwerkschaftbelege vorgenommen wurde. Ergebnis: Gewerkschaftssekretär Schifferdecker hatte sich ... in all den Jahren nichts zuschulden kommen lassen. Doch damit war Schifferdecker keineswegs rehabilitiert. eines Tages fehlte Geld in der Kasse - "das hat man ihm natürlich gestohlen", sagt seine Tochter -, die fristlose Entlassung war die Folge. ...

Wilhelm Schifferdecker Bald verlor auch Ida Schifferdecker ihre Arbeit, weder Vater noch Tochter fanden, abgestempelt wie sie waren, eine neue Beschäftigung. Ein paar Mark Arbeitslosenunterstützung (19 Mark in der Woche) war alles, was die Schifferdecker zum Leben hatten. Mit einem Öl- und Fetthandel schlug sich der ehemalige Gewerkschafter mehr schlecht als recht durch.

1944, nach dem Attentat auf Hitler, geriet Schifferdecker noch einmal in die Fänge der Nazis. Wie andere Regimegegner wurde er verhaftet und sollte ins KZ kommen. Noch auf dem Bahnhof, kurz vor dem Abtransport, wurde er von dem damaligen Leiter des Gesundheitsamtes, Huber, für haftunfähig erklärt und entging so einem schlimmen Schicksal

Nach dem Ende des "Tausendjährigen Reiches" kam Schifferdecker zu damaligen politischen Polizei; zusammen mit Fritz Restle bemühte er sich um eine Wiederbelebung der Metaller-Gewerkschaft. Doch körperlich und seelisch von den Mißhandlungen der Nazis gezeichnet, starb er bereits 1946. ..."

Wilhelm Schifferdecker starb am 20.12.1946 in Villingen.

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